Führen in herausfordernden Zeiten

Führen in herausfordernden Zeiten

Über psycholgische Sicherheit in Teams und Führen in einer volatilen Welt.

In unserer Zusammenarbeit mit Organisationen kommen wir hinsichtlich Zusammenarbeit und Mitarbeiterentwicklung immer wieder auf ein Thema zu sprechen: Die nach innen gelebte Unternehmenskultur.
+ Was brauchen Mitarbeiter, um sich zu entfalten?
+ Wie unterstützen wir in unserem Unternehmen organisationales Lernen?
+ Wie gehen wir intern mit Fehlern bzw. Feedback um?

Kollaboration ist eine Schlüsselqualifikation

Um die Signifikanz in diesem Thema aufzuzeigen hole ich kurz etwas weiter aus: Mitarbeiter auf allen Hierarchieebenen verbringen heute 50% mehr Zeit damit, mit anderen zusammenzuarbeiten, als noch vor 20 Jahren. So heißt es im Harvard Business Review „Collaborative Overload“. Das war bereits in unserem Gründungsjahr 2016 und ich bin mir sehr sicher: weniger ist es nicht geworden 😉 . Deshalb reicht es nicht aus, wenn Organisationen einfach nur talentierte Mitarbeiter einstellen. Wenn Führende das individuelle und kollektive Talent befreien wollen, dann müssen sie eine psychologisch sichere Atmosphäre gestalten, in der Mitarbeiter sich frei fühlen Ideen einzubringen, Informationen zu teilen und Fehler zu berichten.

Das Project Aristotle

Vielleicht sagt dir das „Project Aristotle“ in diesem Zusammenhang etwas. Dies war eine umfassende Forschungsinitiative von Google, die darauf abzielte, die Faktoren zu identifizieren, die erfolgreiche Teams innerhalb des Unternehmens ausmachen.
Sie kamen zu dem Schluss, dass neben klaren Rollen und Verantwortlichkeiten, konkreten Zielvorgaben, Vielfalt und Vertrauen/Respekt die 5. Schlüsselqualifikation die wichtigste darstellt: Psychologische Sicherheit.

Was bedeutet psychologische Sicherheit?

Den Begriff psychologische Sicherheit hat die Harvard-Professorin Amy Edmondson bereits in den 1990er Jahren eingeführt und er bezieht sich auf das Gefühl der Sicherheit, das Mitarbeitende empfinden, wenn sie in einem Team arbeiten. Psychologische Sicherheit beschreibt eine Umgebung, in der Individuen sich frei fühlen, ihre Meinungen zu äußern, Fragen zu stellen, Fehler zuzugeben und kreative Ideen zu teilen, ohne Angst vor negativen Konsequenzen oder sozialer Ausgrenzung.
In einer psychologisch sicheren Umgebung sind Mitarbeitende eher bereit, Risiken einzugehen und innovative Lösungen zu entwickeln. Sie fühlen sich ermutigt, ihre Gedanken und Bedenken offen zu kommunizieren, was zu einer besseren Zusammenarbeit und einem effizienteren Wissensaustausch führt. Teams, die psychologische Sicherheit fördern, sind oft resilienter und anpassungsfähiger gegenüber Veränderungen und Herausforderungen. Es ist kein „nice-to-have“, sondern ein elementarer Erfolgsfaktor.

Psychologische Sicherheit vs. Verantwortlichkeit

Viele Menschen denken, dass sich psychologische Sicherheit und Verantwortlichkeit ausschließen. Dass nur die bekannte Komfortzone auch Sicherheit bietet und je höher die Verantwortung steigt, desto weniger Sicherheit würden Mitarbeiter erfahren. „Man muss doch challengen!“ „Den Leuten Druck machen!“ „Mit persönlichen Konsequenzen drohen!“  hört man da immer wieder auf Management-Ebene. Da fühlen sich Mitarbeiter alles andere als psychologisch sicher. 

Die Neurowissenschaft zeigt umfangreich auf, dass Angst das Lernen und die Zusammenarbeit einschränkt und teils gänzlich verhindert und Mitarbeiter mit einem hohen Verantwortungsbereich in einer psychologisch sicheren Umgebung die größten Erfolge verzeichnen können. Die Lernzone dort ist signifikant.

Also müssen Menschen in Arbeitsumgebungen kommen, in denen sie in der Lage und bereit sind, ihre Talente auch zu nutzen. In jeder Organisation, in der Kreativität und/oder Wissen im Mittelpunkt steht, ist psychologische Sicherheit eine Voraussetzung für Erfolg. Kurz gesagt, wenn Unternehmen für Innovation und Kreativität stehen, sind die auf Zusammenarbeit angewiesen und es ist es keine Frage mehr, ob man Energie daransetzen sollte, eine Atmosphäre der psychologischen Sicherheit zu fördern. Jede Führungskraft muss dieses tun.

Psychologische Sicherheit ist kein Luxus; sie ist entscheidend wichtig, um in einer volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Welt (VUCA) Bestleistungen zu erreichen.

Doch wie gestalten Führungskräfte psychologische Sicherheit in ihrer Organisationen?

1. Voraussetzungen schaffen
Der Arbeit einen Bezugsrahmen geben
Bezugsrahmen bestehen aus Annahmen oder Glaubenssätzen, die wir auf die Wirklichkeit legen.
Diese gilt es zu hinterfragen und gemeinsame Definitionen zu finden:
Was bedeutet für uns Perfektion oder Exzellenz? Wie schulen wir Objektivität? Was verbinden wir mit Fehlern? Wie gehen wir mit Kritik um? Wie findet Wissensvermittlung statt?
Organisationen sollten Erwartungen in Bezug auf Innovation und kreativen Austausch formulieren, um die Notwendigkeit des Äußernsder eigenen Stimme zu betonen.

Die Sinnausrichtung betonen

Aufzeigen, was dadurch erreicht wird bzw. was auf dem Spiel steht, warum und für wen es wichtig ist.

Ziel: geteilte Erwartungen und Bedeutung

2. Einladung zur Teilnahme
Situationsbezogene Demut zeigen
Schwächen zugeben, auch mal zugeben, wenn man etwas nicht weiß, noch keine Idee hat.
Demut ist die Erkenntnis, dass wir nicht schon alle Antworten kennen und nicht im Besitzt einer Kristallkugel sind, um die Zukunft vorherzusagen. Forschungen zeigen, dass Teams ein stärkeres Lernverhalten zeigen, wenn die Führenden Demut zeigen.

Proaktives Nachforschen praktizieren

Gezielte Fragen stellen, Diskurs moderieren
Vorbild für intensives Zuhören sein
Strukturen und Prozesse einführen
Foren und Formate für Input und Austausch schaffen
Richtlinien für Diskussionen erarbeiten

Ziel: Die Überzeugung, dass die eigene Stimme willkommen ist

3. Produktiv reagieren
Wertschätzung ausdrücken
Zuhören
Anerkennung und Dank zeigen

Das Scheitern vom Stigma befreien

Nach vorn schauen
Hilfe anbieten
Diskutieren, überlegen und mit Brainstorming nächste Schritte finden
Klare Verstöße mit Sanktionen belegen

Ziel: Kontinuierliches Lernen als Orientierung

Aufbau einer sinnhaften Fehlerkultur / Feedbackkultur

In diesem Zusammenhang diskutieren wir mit unseren Kunden oft das Thema „Fehlerkultur“ oder auch „Feedbackkultur”. Und ja, diese braucht es, wie der obige Methodenkoffer aufzeigt. Eine Fehlerkultur ist dann sinnhaft, wenn sie konstruktiv ist. Viele von uns streben nach Perfektion. Wollen alles richtig machen, keine Niederlagen erleben. Nachvollziehbar. Doch bei genauerer Betrachtung wird hier auch schnell klar, wenn wir nie einen Fehler machen, dann wandeln wir auf bekannten Pfaden. Das ist oft ok wenn es um Prozesssicherheit und Organisation geht, doch wenn Innovation angestrebt wird ist dies unmöglich.
Plakate die fragen „Heute schon Feedback gegeben?“ sind nett gemeint, doch führen kaum zum erhofften Erfolg. Wir müssen früher ansetzen:

Das Scheitern vom Stigma befreien

Wenn wir dem Scheitern einen neuen Bezugsrahmen geben wollen, müssen wir die grundlegende Typologie der verschiedenen Formen des Scheiterns verstehen. Zu diesen Archetypen gehört:

  • das vermeidbare Scheitern – eine Prozessabweichung
 (niemals eine gute Nachricht)
    Verhaltens-, Fähigkeiten- und Aufmerksamkeitsdefizite

    Wenn jemand zum Beispiel eine Datei ohne Überprüfung eines Kollegen rausschickt, das 4-Augenprinzip aber fest verankert ist, dann ist dies ein vermeidbarer Fehler.
  • komplexes Scheitern – eine Systemstörung (auch nicht so gut)
    
Zeigt sich, wenn ein Zusammenkommen von Faktoren so wirkt, wie es nie zuvor der Fall war. 
Stichwort Corona. 
Mit erhöhter Wachsamkeit kann ein komplexes Scheitern manchmal, aber nicht immer, vermieden werden.
  • intelligentes Scheitern – Nicht-erfolgreicher Versuch (nicht angenehm, aber muss als gute Nachricht gesehen werde, weil es wertvoll ist)

    Ein intelligentes Scheitern ist, wie auch das vermeidbare und das komplexe Scheitern, ein Ergebnis, das niemand gewollt hat. Aber im Unterschied zu den beiden anderen Kategorien ist das intelligente Scheitern die Folge eines durchdachten Vorstoßes auf Neuland.
Weder auf vermeidbares noch auf komplexes Scheitern sollte man mit Wertschätzung reagieren. Intelligentes Scheitern sollte dagegen wertgeschätzt werden, um Mitarbeiter zu ermutigen, mehr von solchen Fehlern zu machen.
 

Die Entstigmatisierung des Scheiterns zur Schaffung psychologischer Sicherheit:

Produktive Reaktionen auf unterschiedliche Formen des Scheiterns:

Vermeidbares Scheitern

  • Training
  • Weiterbildung
  • Verbesserung der Prozesse
  • Neugestaltung der Systeme und Sanktionen, wenn wiederholte oder aus einem andern Grund schädliche Handlungen auftreten

Komplexes Scheitern

  • Fehleranalyse aus unterschiedlichen Perspektiven
  • Risikofaktoren finden, mit denen gearbeitet werden muss
  • Verbesserung der Systeme

Intelligentes Scheitern

  • Das Scheitern feiern „Failure Parties“
  • Preise für das Scheitern „Failure Awards“
  • Durchdachte Analyse der Folgen, um die Implikationen zu finden
  • Nächste Schritte oder zusätzliche Experimente gestalten

Die Praktiken umfassen vor allem komplexe zwischenmenschliche Fähigkeiten und sind deshalb nicht leicht zu meistern. Dafür sind Zeit, Mühe und Praxis erforderlich. Wahrscheinlich liegt der wichtigste Aspekt des Lernens darin, Selbstreflexion zu kultivieren.

Die Herausforderung ist, dass in vielen Unternehmen „eine Kultur des Sagens“ herrscht. In einer Kultur des Sagens haben Fragen keinen hohen Stellenwert. Aber wenn Führungskräfte diese Verzerrung überwinden, die sie daran hindert, ehrliche Fragen zu stellen, dann stärken sie die psychologische Sicherheit. Ehrliche Fragen vermitteln Respekt für die anderen Menschen.

Absichtsvolle Führung

In jedem Unternehmen, das in unserer komplexen und unsicheren Welt erfolgreich sein will, müssen Führende absichtsvoll zuhören. Dabei brauchen sie ein tiefes Verstehen dafür, dass Mitarbeiter die Sensoren sind, die Signale für notwendige Veränderungen bemerken. Sie sind zudem die Quelle für kreative neue Ideen. Durch ihre Worte und Taten und durch die Gestaltung von Systemen, die Menschen nützliche Gesprächsräume eröffnen, können Führende angstfreie Arbeitsplätze schaffen.

Bei Führung geht es im Kern darum, die Bemühung anderer zu nutzen, um etwas zu erreichen, was man alleine nicht umsetzen kann. Führung besteht darin, den Menschen zu helfen, die Talente und Fähigkeiten, die sie mit in die Arbeit einbringen, soweit wie möglich zu entfalten. … psychologische Sicherheit ist dynamisch.

Und obwohl dieser Appell an Führungskräfte gerichtet ist kann jeder dazu beitragen psychologische Sicherheit zu schaffen. Manchmal genügt es schon, eine gute Frage zu stellen. Eine gute Frage wird durch ehrliche Neugier motiviert und von dem Wunsch, jemandem eine Stimme zu geben. Fragen rufen nach Antworten; sie schaffen ein Vakuum, das für jemanden als Möglichkeit für seine Stimme wirkt.

Die persönliche Herausforderung für uns alle besteht darin, uns im konkreten Moment daran zu erinnern, verletzlich, interessiert und verfügbar zu sein.
Damit sollte klar sein, dass du nicht der Chef sein musst, um ein Führender zu sein. Die Aufgabe eines Führenden besteht darin, die Kultur zu schaffen und zu pflegen, die wir alle brauchen, um unsere Bestleistungen zu erreichen. Jedes Mal wenn du dazu beiträgst, zeigst du Führungskompetenz.

 

Auf bald 🙂
Silke und Julia

Dieser Beitrag enthält Auszüge aus „Die angstfreie Organisation“ von Amy C. Edmondson. Die amerikanische Sozialwissenschaftlerin forschte über 20 Jahre wie psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz mehr Entwicklung, Lernen und Innovation schafft.

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Mehr Lesestoff gefällig?
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Hier kommst du unserem Blogartikel Was bedeutet gute Führung? Zum Blogartikel

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